Familie – heute und im Mittelalter

Beziehung, Kinder, Arbeitsteilung und Homosexualität im Vergleich

Familie mit Mutter, Vater und Kleinkind sitzen am Tisch. Die Mutter füttert das Kind, der Vater arbeitet am Laptop.
  • Forschung
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  • 21.07.2021
  •  
  • Patricia Achter
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  • Lesedauer: 11 Minuten

Früher war alles besser? Was Familie und Partnerschaft angeht, war im Mittelalter zumindest nicht alles schlechter. Die Menschen hatten überraschende Freiheiten. Und das Leben in der heutigen Gesellschaft ist vielleicht nicht so frei, wie man meinen könnte.

Kinder können süß sein. Ein fröhliches Lächeln von ihnen: herzallerliebst. Und sie können anstrengend sein. Ein durchdringender Schrei von ihnen: zermürbend. Etwa jede fünfte Frau in Deutschland bleibt gewollt oder ungewollt kinderlos. Im Englischen heißt dieser Zustand childfree. „Während ‚kinderlos‘ einen Mangel ausdrückt, deutet ‚childfree‘ an, dass Kinder durchaus auch eine Belastung sein können“, erläutert Dr. Marcel Raab. Er und sein Kollege Dr. Florian Schulz sind Soziologen, die am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) forschen. Zusätzlich halten sie an der Otto-Friedrich-Universität regelmäßig Seminare ab, unter anderem über Einstellungen zum Familienleben. Zum Thema Kinderwunsch sagt Schulz: „In Deutschland wünschen sich Paare häufig zwei Kinder, andere gar keine.“ Darum liegt die Fertilitätsrate, also die geschätzten Geburten pro Frau, seit Jahren im Schnitt bei 1,4 oder 1,5 Kindern. „Heutzutage ist es bei uns eine individuelle Entscheidung, Kinder zu bekommen“, fügt Raab hinzu. „Durch die Rentenversicherung muss man sich hierzulande nicht mit Kindern fürs Alter absichern.“

Arbeitsteilung im Mittelalter

Im Mittelalter waren Kinder eine notwendige Altersvorsorge, könnte man denken. Tatsächlich gab es Familien, die ihren Besitz an die nächste Generation vererben wollten, darunter Bauern, Schmiede, Bader. Richtig: durchweg Männer. „Im Mittelalter wurden die Aufgabengebiete von Männern und Frauen viel stärker getrennt als heute“, stellt Prof. Dr. Klaus van Eickels klar. Er hat den Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte an der Universität Bamberg inne. „Während beispielsweise der Schmiedemeister seine Werkstatt führte, leitete seine Ehefrau die Hauswirtschaft, die Gartenarbeit und die Kindererziehung.“ Durch die Aufgabenteilung stellte sich die Frage nach der Gleichberechtigung nicht: Mann und Frau konnten in ihrem jeweiligen Bereich eigenständig agieren. Die Ehe als Lebensmodell war aber nur eines von vielen im Mittelalter. Die abhängig beschäftigten Gesellen in der Werkstatt, die nur einen Schlafplatz, Verköstigung und ein Taschengeld als Lohn erhielten, konnten und durften keine Familie gründen. „Vor allem für arme Männer gab es Frauenhäuser, also Bordelle, die mit Unterstützung der Kirche eingerichtet wurden, um Übergriffe auf ehrbare Frauen oder gleichgeschlechtliche Unzucht zu vermeiden“, erklärt van Eickels. Sexuelle Beziehungen zwischen Gesellen und Mägden hätten ein schlechtes Licht auf den gesamten Hausstand geworfen und wären auch nicht im Interesse der Mägde gewesen. Diese arbeiteten oft, um sich eine Aussteuer zu verdienen und so ihre Position auf dem Heiratsmarkt zu verbessern. Das ging aber natürlich nur, wenn sie ihren guten Ruf bewahrten. Für Frauen war eine Familie ebenfalls nicht die einzige Option, ihr Leben zu gestalten. Reiche Frauen konnten ins Kloster gehen, ärmere in Hospitälern arbeiten, die eine klosterähnliche Gemeinschaft bildeten. Andere lebten bei der Familie eines nahen Verwandten.

Geschlechterungleichheit in der Gegenwart

Im Jahr 2021 orientiert sich die Aufgabenverteilung in Partnerschaften weiterhin am Geschlecht. Soziologe Florian Schulz führt aus: „Frauen übernehmen ungefähr zwei Drittel der unbezahlten Arbeit in Paarhaushalten wie Haushalt, Kindererziehung und Pflege. Männer hingegen übernehmen durchschnittlich zwei Drittel der bezahlten Arbeit.“Diese Durchschnittswerte zeigen, dass bestimmte Strukturen vorherrschen und eine Geschlechterungleichheit existiert. „Dabei ist aber wichtig zu wissen, dass die Gesamtarbeitszeit beider Partner durchaus ähnlich ist“, sagt Schulz. Aus Umfragen ist bekannt, dass sich über 90 Prozent der Deutschen eine gleichberechtigte Partnerschaft wünschen. Die Frage, was sie unter Gleichberechtigung verstehen, ist bisher aber nicht näher erforscht. Geht es darum, alle anfallenden Tätigkeiten nach Zeitaufwand gleichmäßig zu verteilen? Oder darum, dass jeder der beiden jeweils zur Hälfte zuhause und im Beruf arbeitet?

Geschlechterungleichheit in der Gegenwart

Im Jahr 2021 orientiert sich die Aufgabenverteilung in Partnerschaften weiterhin am Geschlecht. Soziologe Florian Schulz führt aus: „Frauen übernehmen ungefähr zwei Drittel der unbezahlten Arbeit in Paarhaushalten wie Haushalt, Kindererziehung und Pflege. Männer hingegen übernehmen durchschnittlich zwei Drittel der bezahlten Arbeit.“Diese Durchschnittswerte zeigen, dass bestimmte Strukturen vorherrschen und eine Geschlechterungleichheit existiert. „Dabei ist aber wichtig zu wissen, dass die Gesamtarbeitszeit beider Partner durchaus ähnlich ist“, sagt Schulz. Aus Umfragen ist bekannt, dass sich über 90 Prozent der Deutschen eine gleichberechtigte Partnerschaft wünschen. Die Frage, was sie unter Gleichberechtigung verstehen, ist bisher aber nicht näher erforscht. Geht es darum, alle anfallenden Tätigkeiten nach Zeitaufwand gleichmäßig zu verteilen? Oder darum, dass jeder der beiden jeweils zur Hälfte zuhause und im Beruf arbeitet?

Gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Vergleich

Während heutige Partnerschaften meist auf Augenhöhe geschlossen werden, bestand im Mittelalter eine deutliche Ungleichheit. „Mann und Frau galten als so ungleich, dass die Ehe mit dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch verglichen wurde“, gibt Historiker Klaus van Eickels zu bedenken. Homosexuelles Verhalten hieß Sodomie und wurde mit dem Tod bestraft, da „gleichgeschlechtliche Handlungen mittelalterlichen Theologen als schwere, ja, als himmelschreiende Sünde galten.“ Obwohl es die Todesstrafe gab, wurden homosexuelle Männer aber in der Realität selten hingerichtet. Denn wer eine Person der Sodomie beschuldigen wollte, brauchte Beweise, dass es tatsächlich zur Penetration gekommen war. Homophobie allein reicht allerdings als Erklärung nicht aus. In den dokumentierten Fällen von Sodomie ging es sehr oft um Handlungen, die man heute als Kindesmissbrauch oder als Missbrauch von Abhängigen bestrafen würde. „Sexuelles Handeln im Mittelalter schrieb den Partnern unterschiedliche Rollen zu“, erklärt van Eickels die Hintergründe. „Die moderne Vorstellung von einem gemeinschaftlichen sexuellen Akt, der nur dann legitim ist, wenn beide einwilligen, gab es nicht. Ob der Mann den Akt an Frauen, Mädchen oder Knaben ausführte, machte nur einen graduellen Unterschied.

Eine offene, transparente Gesellschaft

Ein Mann, der sich im Mittelalter zu Altersgenossen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlte, fiel nicht besonders auf. Enge Freundschaften unter Männern waren üblich. Sie sagten einander, dass sie sich liebten, schliefen nebeneinander im gleichen Bett, umarmten  sich. In der Öffentlichkeit mussten sie sich dafür nicht rechtfertigen. Nur gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen waren verboten, fanden also heimlich statt. In der mittelalterlichen Gesellschaft stellte sich gar nicht die Frage, ob man sich outen sollte. Und im 21. Jahrhundert? Die Gesellschaft hält sich für offener, transparenter. In der Öffentlichkeit sind verschiedene Lebensmodelle präsent: seien es Alleinerziehende oder Singles in einer Wohngemeinschaft. Nichteheliche Verbindungen werden akzeptiert. Aber gerade zur Homosexualität bekennen sich noch immer recht wenige Menschen öffentlich. Die Handlungsfreiheit des Individuums ist heute wie damals gebunden durch Werte, Normen und Kon-ventionen; allerdings haben sich diese grundlegend gewandelt. Weder die mittelalterliche noch die heutige Gesellschaft behandelt Individuen, Paare und Familien eindeutig und in jeder Hinsicht besser oder schlechter, sondern einfach – anders.

Weitere Informationen:

  • Einblicke ins mittelalterliche Leben gibt die Multimedia-Reportage Expedition ins Mittelalter, die den Forschungsschwerpunkt Kultur und Gesellschaft im Mittelalter vorstellt.
  • Im Wintersemester 2021/22 bietet das Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie eine Ringvorlesung zur Wahrnehmung männlichen Begehrens an.
  • Im Bereich der Familienforschung kooperiert die Universität Bamberg intensiv mit dem Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb).
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Seite 147777, aktualisiert 11.01.2022